Solardorf Müllerstraße wird im Auftrag des Umweltbundesamtes untersucht
Im Auftrag des Umweltbundesamtes untersucht das Dutch Research Institute for Transitions, zusammen mit dem Ecologic Institut, der Technischen Universität Cottbus und dem Leibnitz Institut für ökologische Raumentwicklung noch bis 2019 die Rolle von gekoppelten Infrastrukturen in Nachhaltigkeitstransformationen.
Einfach gesprochen wird untersucht, welche Rolle von Infrastruktur in einem langfristigen, strukturellen Wandel hin zu einer nachhaltigen und klimaresilienten Gesellschaft ausgeht. Ziel des Projektes TRAFIS ist es, die zentralen Einflussfaktoren und Einflussbedingungen in der Entwicklung innovativer Infrastrukturkopplungen und auf dieser Basis Steuerungs- und Unterstützungsmöglichkeiten insbesondere durch die Bundesebene zu identifizieren.
Unter der Infrastrukturkopplung versteht man die Schaffung neuartiger, funktionaler Verbindungen innerhalb und zwischen sozio-technischen Infrastruktursystemen wie z.B. zwischen Energieversorgung und Transport/Verkehr zur Ermöglichung von Elektro-Mobilität.
Aus unserer Sicht ist das Solardorf Müllerstraße ein hervorragendes Projekt, um Infrastrukturkopplungen zu untersuchen. In bisherigen Gesprächen haben wir bereits die zentralen Einflussfaktoren und Einflussbedingungen versucht herauszustellen. Dabei haben wir herausgearbeitet, dass positive wie negative Faktoren grob in drei Bereiche unterteilt werden müssen.
Personelle Faktoren
Das Projekt Solardorf Müllerstraße war und ist geprägt von Einzelakteuren, welche das Projekt fördern oder bremsen, je nachdem, zu welchem Zeitpunkt man die handelnden Personen betrachtet. Das erste Projekt „Sonnendorf Ossenmoor“ war geprägt von dem Engagement von einem Team um Bernhard Luther und dem Baudezernenten Thomas Bosse. Aus persönlichen Erfahrungen war man zu der Idee gelangt, technisch vorhandene Komponenten zu verknüpfen und in einer Modellsiedlung zu realisieren. Leider zerbrach das Projektteam aufgrund persönlicher Diskrepanzen und der restriktiven Fiskalpolitik der Banken nach der Finanzkrise 2008. Bernhard Luther und Thomas Bosse gaben das Projekt aber noch nicht verloren und besuchten aus persönlichem Interesse weiter Messen, um die Idee doch noch realisieren zu können. Die Stadt hatte aktiv durch Organisation möglicher Bauflächen das Projekt ermöglichen wollen.
Im zweiten Projekt, dem Folgeprojekt „Solardorf Müllerstraße“, stieg das Vater-Sohn-Gespann Schilling in das Projekt ein. Zusammen mit einem Ingenieur wurde das Konzept verändert. Die Stadt stellte indes mit der Aufstellung eines Bebauungsplans die rechtlichen Weichen. Bei der Anpassung des Konzeptes wurden jedoch viele Fehler gemacht, sodass sich in der Folgezeit bei vielen technischen Komponenten des Konzeptes leider herausstellte, dass diese entweder nicht erwerbbar, nicht mehr vorgesehen oder rechtlich nicht umsetzbar waren. Leider führte die „Salami-Informationstaktik“ der Projektgesellschaft Schilling nicht dazu, dass das Vertrauen der Käufer / Anwohner in das Gesamtkonzept stieg. Nach etwa einem Jahr forderten die Käufer / Anwohner den Nachweis ein, dass das Gesamtprojekt überhaupt annähernd umsetzbar ist. Leider ist die Firma Schilling diesen Nachweis bis heute schuldig. Dies ist für die Stadt Norderstedt jedoch kein Grund, weiterhin nicht mindestens alle sichtbaren Komponenten zu fordern (E-Auto, Wandladebox, Photovoltaik).
Technische Faktoren
Ziemlich schnell nach dem Verkauf der ersten Grundstücke hatten die Käufer weitere, tiefer gehende Fragen zum viel versprechenden Konzept. Bei vielen Aussagen blieb die Projektgesellschaft Schilling jedoch wage oder gab je nach Nachbarn unterschiedliche Informationen heraus. Im Herbst 2013 gab es aus diesem Grund erste Klärungsrunden zu den vorgesehenen technischen Komponenten.
Recht schnell kristallisierte sich heraus, dass die Projektgesellschaft aufgrund eines hohen Preises das Smartgrid nicht mehr in der geplanten Form umsetzen wollte. Verschiedenste Varianten, wo das Smartgrid entweder in das Smarthome oder später in den Stromspeicher integriert werden sollte, wurden nie realisiert. Zuletzt wurde Ende 2015 der Betrieb des internen privaten Stromnetzes untersagt, sodass die Realisierung eines physischen Smartgrids nicht mehr realisiert werden konnte.
Weiterhin sagte der Lieferant für die Ladeboxen der Projektgesellschaft ab und für die Käufer / Anwohner waren auch die geplanten Elektroautos bei keinem der benannten Autohäuser käuflich zu erwerben. Zu allem Überfluss wurde die Komponente Smarthome als optional deklariert. Zuletzt wurde der Ingenieur von der Projektgesellschaft Schilling vom Projekt abberufen.
Es durfte ehrlich gefragt werden: was ist das Projekt ohne Smartgrid, Smarthome, Wandladebox und Elekroauto eigentlich noch? Die Antwort der Stadt Norderstedt war juristisch: wir machen einfach einen Ergänzungsvertrag, der die Käufer / Anwohner dazu verpflichtet, nur noch kaufbare Komponenten zu erwerben: irgendeine Photovoltaik, irgendeine Wandladebox, irgendein Elektroauto, irgendeinen Stromspeicher.
Juristische Faktoren
Wie bereits angedeutet sind viele Faktoren im Projekt juristischer Natur. Ein prägender Faktor sind sogenannte Verträge zugunsten Dritter. Eigentlich rechtlich nicht zulässig, aber trotzdem so umgesetzt. Die Projektgesellschaft hatte sich in den Kaufverträgen das Recht gesichert, im Namen der Käufer / Anwohner beteiligte Firmen zu beauftragen.
Darüber hinaus ist die Bestellung von beschränkt persönlichen Dienstbarkeiten sehr diffus. Abgesehen davon, dass die Verpflichtung zum Elektroauto per Reallast gesichert werden sollte, wurde eine beschränkt persönliche Dienstbarkeit beantragt. Das Grundbuchamt hat in der Folge die Eintragung abgelehnt, da bewegliche Dinge nicht in ein Grundbuch eintagbar sind. Daraufhin haben die Stadt, die Projektgesellschaft, der Notar und das Grundbuchamt in Kooperation eine Formulierung gefunden, die wohl eintragbar war. Diese regelt nun, dass man auf seinem Grundstück nicht parken darf, wenn man kein Elektroauto besitzt, was man auf dem Grundstück lädt. Weder Stadt, noch Projektgesellschaft, noch der Notar sehen einen unterschied in der Verpflichtung zum Elektroauto und einem Parkverbot. Erschreckend ist, dass die Käufer / Anwohner zwei Jahre nach Kauf der Grundstücke in Form einer Rechnung vom Grundbuchamt über die Eintragung erfahren haben. Auch hier sah der handelnde Notar keinen Widerspruch.
Eine weitere spannende Entdeckung war, dass das Rückspeisen von Strom ins Haus laut VDE noch gar nicht erlaubt ist. Darüber hinaus war nicht zu ergründen, welche Versicherung z.B. in dem Falle eines Kabelbrandes zahlt: die KFZ-Haftpflicht, weil der Strom aus dem Auto kommt, oder die Hausratversicherung oder doch die Wohngebäudeversicherung? Viele ungeklärte rechtliche Fragen, welche einem als Laien doch ein wenig überfordert haben.
Indizien für Handlungsempfehlungen
Aus unserer Sicht gibt es in den drei Themenbereichen jeweils viele Dinge, welche in zukünftigen Projekten beachtet werden können. Als erstes wäre dies aus unserer Sicht die Erstellung eines technisch wie betriebswirtschaftlich tragbaren und funktionierenden Konzeptes. Das heißt, sowohl betriebswirtschaftlich als auch in der Auswahl der technischen Komponenten sollte große Sorgfalt in der Planung aufgewendet werden. Es sollte nicht erst im Projekt auffallen, dass aufgrund der Kosten essentielle technische Bausteine nicht realisiert werden. Zudem sollte nur auf bereits bestehende Komponenten zurückgegriffen werden und nicht zu stark auf den Faktor Hoffnung gesetzt werden, dass in der Projektzeit hoffentlich passende Produkte auf den Markt kommen. Wenn diese Vorbereitungen geschaffen wurden, sollte eine kompetente und kommunikationsstarke technische Leitung das Projekt koordinieren. Nicht zu vergessen ist, dass die möglichen rechtlichen Fallstricke von einem Fachmann betrachtet und geklärt werden. Soll es zukünftig Microgrids / regionale Smartgrids geben? Was heißt so etwas juristisch? Wer darf so ein Netz betreiben? Was heißt dies in Bezug auf die Rechte, welche im öffentlichen Netz in Bezug auf die freie Stromanbieterwahl oder die Einspeisevergütung vorhanden sind? Müssen hier vorhandene Gesetze angepasst werden? Ist es überhaupt vom Gesetzgeber gewünscht, dass Strom untereinander getauscht und abgerechnet wird? Was heißt das juristisch für jeden Anwohner? Welche Versicherung ist dafür verantwortlich, wenn mit dem Strom aus dem Auto im Haus ein Kurzschluss geschieht? Viele Fragen, welche, wenn sie beantwortet sind, sicherlich den langfristigen, strukturellen Wandel hin zu einer nachhaltigen und klimaresilienten Gesellschaft fördern und innovative Projekte wie das Solardorf Müllerstraße erfolgreich realisierbar machen lassen.
Blick nach Vorne
Abgesehen von den vielen persönlichen, technischen und juristischen Fallstricken, welche uns Anwohner in dem eigentlich doch recht innovativen und zukunftsorientierten Projekt begegnet sind, sind wir weiterhin interessiert an dem Gesamtthemenkomplex. Spannend wäre aus unserer Sicht, wenn man noch einmal auf einem weißen Blatt Papier beginnen könnte. Viele technische Komponenten sind in dem Wohngebiet bereits verbaut und der eine oder andere Anwohner liebäugelt sicher auch mit weiteren Komponenten. Doch eigentlich würde es viel mehr Spaß machen, wenn man seine Anstrengungen und Investitionen, egal ob es ein Stromspeicher oder ein flottes Elektroauto ist, in einem innovativen Gesamtkonzept oder – Projekt realisieren könnte. Aus diesem Grund sind wir auf der Suche nach Partnern, die Lust haben, mit uns zusammen etwas innovatives und nachhaltiges zu schaffen.
Artikelbildquelle: dinolino / pixelio.de