Stromversorgung: Neubaugebiet als Kundenanlage?

von | Sep 16, 2015 | 0 Kommentare

Das Baugebiet „Solardorf Müllerstraße“ in Norderstedt ist in vielerlei Hinsicht besonders. Nicht nur, dass das ursprüngliche Konzept zukunftsweisend sein sollte, auch die Umsetzung gestaltet sich besonders. Wie bereits in vielen anderen Beiträgen beschrieben, schafft es die Erschließungsgesellschaft nicht, die vertraglich versprochenen Leitungen bereitzustellen. Dazu zählen Komponenten wie das Elektroauto, eine Ladestation, das Smarthome, ein Smartgrid… Also fast alles.

Eine weitere Besonderheit bietet die vertragliche Gestaltung. Obwohl alle Bauherren in ihren Verträgen ein öffentlich und voll erschlossenes Grundstück erworben haben, versteht die Erschließungsgesellschaft Schilling aus Bad Salzuflen etwas anderes darunter als die Bauherren. Für sie bezieht sich dies lediglich auf das Wasser. Damit sei eine öffentliche Versorgung vorhanden. Bei Strom und Fernwärme sollen die Netze im Baugebiet jedoch nicht öffentlich, z.B. durch die Stadtwerke Norderstedt, betrieben werden, sondern im privaten Eigentum der Erschließungsgesellschaft bleiben.

Ursprüngliches Ziel der Erschließungsgesellschaft war es, dass diese beiden Netze durch eine von den Bauherren zu gründende Gesellschaft übernommen werden. Da dies keinem Bauherren bekannt war und es auch keine vertragliche Grundlage dazu gibt, hat die Bauherrengemeinschaft dies abgelehnt. Die Folge: seitdem verweigert die Erschließungsgesellschaft allen Bauherren den Anschluss an das öffentliche Netz, verweigert weiter den Abschluss von üblichen und gesetzlich vorgeschriebenen Lieferverträgen für Strom und Fernwärme.

Nachdem die Erschließungsgesellschaft durch das Ministerium für Energiewende in Kiel darüber informiert wurde, dass sie zum Betrieb des Netzes für Strom in der Art nicht berechtigt ist, hat sie eine Anwaltskanzlei beauftragt, hier für Klarheit zu sorgen. Diese Klarheit bedeutet: das Netz soll als Kundenanlage eingestuft werden! Dies ist schon besonders und in Neubaugebieten bisher nicht vorgekommen. Kundenanlagen kennt man vornehmlich aus Mehrfamilienhäusern. Der Grundversorger legt hier den Anschluss bis in den Keller, wo folgend für jede Wohneinheit eigene Zähler installiert werden. Die Kabel im Haus stellen eine Kundenanlage dar, liegen im Besitz und in der Verantwortung vom Hausbesitzer.

Im Neubaugebiet „Solardorf Müllerstraße“ ist die technische Umsetzung derzeit ähnlich. Es gibt einen Netzanschlusspunkt am Rand des Baugebiets, welcher aber nur einen Zähler beinhaltet. Folgend ist für die Stadtwerke als Grundversorger derzeit nicht ersichtlich, wie viel Strom jeder Bauherr verbraucht und einspeist. Die Erschließungsgesellschaft hat folgend jedem Bauherren einen ungeeichten und unregistrierten Stromzähler, einen Smartmeter, zur Verfügung gestellt. Diesen haben die meisten Bauherren auch eingebaut. Da dieser Zähler aber unregistriert ist, kann kein Bauherr zu einem Energielieferanten seiner Wahl wechseln, da dieser diesen Zähler nicht identifizieren kann.

Eine weitere Besonderheit ist, dass das Netz im Baugebiet keine direkte Verkabelung kennt. Anders als beim soeben erwähnten Mehrfamilienhaus, ist hinter dem einem Zähler am Netzanschlusspunkt ein „Stromsee“. Wer daraus entnimmt oder einspeist, ist am einzigen offiziellen Zähler nicht mehr identifizierbar. Würde es sich technisch wirklich um eine Kundenanlage handeln, müssten am Netzanschlusspunkt 21 Zähler installiert und jedes Haus jeweils direkt mit seinem Zähler verkabelt sein. Eine direkte Belieferung aus dem öffentlichen Netz ist dadurch derzeit nicht möglich. Da bereits alle Nachbarn mit Strom versorgt werden, zwar ohne vernünftige Ermittlung, Abrechnung und Möglichkeit den Anbieter zu wechseln, sieht sich die Stadtwerke Norderstedt nicht in der Lage, das Gebiet wie sonst überall üblich selbst zu versorgen.

Der Lösungsvorschlag der Erschließungsgesellschaft durch Hilfe der Rechtsberatung ist es, allen Bauherren einen „virtuellen Zähler“ bei den Stadtwerken Norderstedt einzurichten, welcher folgend auch öffentlich bekannt ist und von Energielieferanten als Basis für eine Belieferung genutzt werden kann. In regelmäßigen Abständen müssten wir demnach den Stadtwerken den Zählerstand unserer ungeeichten Zähler in den Häusern melden, welche diesen an den jeweiligen Energielieferanten weitergeben.

Das Energieministerium prüft derzeit noch, ob es diese Art der technischen und rechtlichen Netzgestaltung für zulässig erachtet. Der Mehrwert dieser Gestaltung ist für uns bisher aber nicht erkennbar. Sobald jeder Nachbar einen eigenen Stromlieferanten wählt, kann z.B. kein Smartgrid mehr umgesetzt werden. Mal davon abgesehen, dass 8 von 21 Nachbarn auch schon heute vertraglich nicht zu einer Teilnahme an einem Smartgrid verpflichtet sind, was deren Sinnhaftigkeit generell in Frage stellt. Der Wunsch der Einstufung des Netzes als Kundenanlage führt dazu, dass die Erschließungsgesellschaft nur noch ein Netz besitzt und betreibt und für die Instandhaltungskosten aufkommen muss. Laut geltender Gesetzgebung darf sie dafür anfallende Kosten nicht einmal direkt an die Bauherren weitergeben.

Der Wunsch aller Nachbarn, den Anbieter wechseln zu können und endlich eine vernünftige und vertragsgerechte Stromliefergrundlage wäre damit erreicht. Die Zulässigkeit dieses vielleicht technisch machbaren, aber inhaltlich fragwürdigen Konstrukts muss das Ministerium für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume in Kiel nun bescheiden. Der Wunsch aller Nachbarn bleibt: eine Lösung ohne die Erschließungsgesellschaft Schilling und eine Übernahme des Netzes durch die Stadtwerke Norderstedt inkl. der Herstellung eines ganz normalen Stromanschlusses!

Artikelbild: Lydia W.  / pixelio.de

Die drei W’s: wer, was und warum

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